Kurzgeschichten

Die Geschichte von den kleinen Schwarzen Löchern

Von Sylvia Wedel

Der Montagmorgen begann wie er schlechter nicht hätte beginnen können. Nachdem ich den Wecker um 6 Uhr zum Schweigen gebracht hatte, stellte ich vorsichtig einen Fuß auf den Boden. Doch kaum hatte er den Boden berührt rasten heftige Schmerzimpulse an meinen Nervenbahnen entlang und explodierten in meinem Kopf. Jetzt war ich hellwach ! Sofort begutachtete ich meinen schmerzenden Fuß. Eine kleine spitze Computerschraube steckte in der Fußsohle. Mir war sofort klar dass sie wieder zugeschlagen hatten. Wer? Diese miesen kleinen Schwarzen Löcher. Ja, du liest richtig: kleine Schwarze Löcher! Anders als ihre großen Verwandten im Weltall können sie sich bewegen und die Dinge die sie verschlucken , deshalb an einer anderen Stelle wieder ausspucken. So wie diese kleine Computerschraube. Sie stammte aus dem Zimmer meines Sohnes. Dort baut er nämlich ständig seine Computer um und auseinander. In meinem Schlafzimmer gibt es keine Computer, schon gar keine Auseinandergebauten. Aber der Tag war noch jung und ich hatte noch starke Nerven.

Nachdem ich meinen Fuß verarztet hatte, trieb ich erst einmal meine Familienmitglieder aus dem Haus. Nach dieser schweißtreibenden Arbeit hatte ich mir eine Tasse Kaffee verdient. Das Kaffeekochen gelang noch einwandfrei. Alles war an seinem Platz. Meine Einkaufsliste für diesen Tag zu schreiben gestaltete sich schon schwieriger. Die sonst so massenhaft vorhandenen Kugelschreiber waren – richtig –verschluckt. Die kleinen bösen Schwarzen Löcher waren es! Der einzige schreibfähige Stift den ich finden konnte war ein grellrosafarbener Buntstift dessen Spitze dann aber doch noch abbrach. Einen Spitzer suchte ich erst gar nicht. Es geht auch ohne Zettel. Wozu hatte ich ein Gehirn beziehungsweise ein Gedächtnis? Obwohl das auch des Öfteren von kleinen Schwarzen Löchern heimgesucht wird.

Nach einer belebenden Dusche versuchte ich mich anzuziehen. Auf der Suche nach meiner grünen Seidenbluse näherte ich mich mutig dem Lieblingsaufenthaltsort der kleinen Schwarzen Löcher: meinem Kleiderschrank! Dort fand ich zwar einen langvermissten Badeanzug und eine rote Hose, von deren Existenz ich gar nichts mehr wusste, aber meine grüne Seidenbluse – verschluckt. Ich begnügte mich mit der vorhandenen Auswahl an Kleidungsstücken und schaffte es sogar zwei zueinander passende Socken zu finden. Anschließend griff ich nach dem Einkaufskorb und dem Hausschlüssel und erweiterte meinen mentalen Einkaufszettel um ein paar Artikel. Bevor ich jedoch das Haus verlassen konnte brauchte ich noch meinen Geldbeutel. Ein Griff in meine Jackentasche förderte zwar einen Kugelschreiber aber nicht den Geldbeutel hervor. Den hatte ich aber abends ganz bestimmt in die Jackentasche getan. Es half nichts, ohne den Geldbeutel konnte ich nicht aus dem Haus. Also stellte ich den Einkaufskorb ab, legte den Kugelschreiber und die Schlüssel auf die Treppe und begab mich auf die Suche. Eine dreiviertel Stunde und etliche Wutanfälle später fand ich ihn. Er lag auf dem CD-Regal im Wohnzimmer, ganz harmlos als sei das sein üblicher Platz. Etwas entnervt steckte ich ihn ein und ging wieder Richtung Haustür. Dort angekommen wollte ich nach den Schlüsseln greifen und sie ebenfalls in meine Jackentasche tun als ich mitten in der Bewegung erstarrte. Du ahnst vielleicht was passiert war? Genau, die Schlüssel lagen nicht mehr da. Das war eindeutig zuviel!! Fluchend, den Einkaufskorb auf den Boden werfend, drehte ich mich um und ging zurück ins Wohnzimmer .Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, beschloss ich vor der nächsten Suchaktion noch eine Tasse Kaffee zu trinken. Also hoch in die Küche. Dort zog ich die Jacke aus und hängte sie über einen Stuhl, als dabei mit einem klirrenden Geräusch die Schlüssel aus der Jackentasche auf den Boden fielen. Ich starrte sie an als wären sie Wesen aus einer anderen Welt. Jetzt räusperte sich meine Stimme der Vernunft und säuselte mir ins Ohr:“ Bleib ganz ruhig. Du hast die Schlüssel vorhin bestimmt, ganz in Gedanken versunken eingesteckt! “ Aber ich kannte die grauenhafte Wahrheit!!! Obwohl in meinem Innern die Panik tobte gelang es mir äußerlich ganz ruhig zu bleiben. Ich musste sie täuschen .Diese biestigen kleinen Dinger sollten mich nicht in den Wahnsinn treiben.

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Zunächst zog ich meine Jacke wieder an und dann bückte ich mich, hob blitzschnell die Schlüssel vom Küchenboden auf und packte sie zum Geldbeutel in meine Jackentasche. Doch diesmal umklammerte ich beide mit der Hand. Langsam fühlte ich mich wieder überlegen. Jetzt musste ich mich nur noch auf den Weg machen. Da fiel mein Blick auf den riesigen Wäscheberg in der Ecke, den ich schon seit gestern Abend ins Bad bringen wollte. Also klemmte ich das bunte Durcheinander unter meinen freien Arm und begab mit damit zur Treppe. Ich war noch nicht ganz unten als das Telefon klingelte und deshalb versuchte ich schneller zu gehen. Der Wäscheberg unter meinem Arm hatte jedoch etwas dagegen und so verhedderten sich meine Beine in einem herunter baumelnden Bettlaken, das sich jetzt wie eine wütende Schlange aufführte. Da sich meine rechte Hand immer noch um die Schlüssel und den Geldbeutel in meiner Tasche krallte, konnte ich mich nicht am Geländer festhalten und so fiel ich die restliche Treppe hinunter. Die Landung war sehr unsanft und als ich wieder klar sehen konnte, saß ich inmitten der verstreuten Wäschestücke auf dem Boden. Ganz in meiner Nähe lag meine grüne Lieblingsbluse, die mir hämisch zuwinkte. Blusen winken nicht? Glaube mir, sie tun es! Das Telefon klingelte noch immer eindringlich. Können kleine Schwarze Löcher eigentlich telefonieren? Ich verwarf diesen Gedanken schnell wieder und humpelte los. Als ich endlich den Hörer am Ohr hatte erkannte ich die Stimme meines Ehemannes der irgendwelche Unterlagen irgendwo im Haus hingelegt hatte. Die sollte ich jetzt für ihn suchen damit er sie später abholen konnte. Immer wieder von einem hysterischem Lachen unterbrochen, erklärte ich ihm das sei leider nicht möglich, weil ich unbedingt Geldbeutel und Schlüssel festhalten müsse, sonst gäbe es eine Katastrophe, ja der Weltfrieden hänge davon ab. Außerdem würde ich jetzt das Haus verlassen solange die Haustür noch an ihrem Platz ist und der Weg dorthin nicht mit spitzen kleinen Computerschrauben gespickt ist. Ich legte auf , drehte mich um und sprang in das nächste kleine Schwarze Loch das vorbeikam.