Buchvorstellung

Aus einem Brief von Sina

Ich war also nicht gerade bester Stimmung, als ich eines Sonntagmorgens aufwachte, noch ziemlich mitgenommen von der Party, auf die mich Samantha und Kate mitgeschleppt hatten. Ich quälte mich aus dem Bett und ging in Richtung Bad. Als ich an der Küche vorbeikam, hörte ich die beiden lachen. Es roch verführerisch nach Kaffee und den konnte ich jetzt gut gebrauchen. Ich betrat also die Küche und blieb wie versteinert stehen.
Neben Kate saß ein junger Mann, das musste ihr Bruder sein. Ich hatte richtig vermutet, denn in diesem Moment hörte ich sie sagen:
„Sina, darf ich dir meinen Bruder Jamie vorstellen!“
Ich schwöre dir, bis zu diesem Zeitpunkt war ich mir sicher gewesen, dass es Liebe auf den ersten Blick nur in schnulzigen Romanen gab. Beim Anblick von Jamie traf es mich wie ein Blitz. Mein Verstand verflüchtigte sich auf der Stelle. Ich konnte ihn nur anstarren. Wie seine Schwester hatte er diese unglaublichen goldblonden Haare. Er trug sie allerdings länger. Sie fielen ihm fast bis auf die Schultern.
Jetzt stand er auf und kam auf mich zu. Als er vor mir stehen blieb, schaute ich in seine grünbraunen Augen und der Rest meiner Selbstbeherrschung schmolz wie Butter in der Sonne. Er streckte mir seine Hand hin und sagte:
„Hallo Sina!“
Ich erwiderte nichts, weil ich genau wusste, dass ich nur hirnloses Zeug von mir geben würde. Als ich meine Hand zur Begrüßung ausstreckte, wurde mir bewusst, dass ich in meinem so genannten Wohlfühl-T-Shirt vor ihm stand.
Nur fühlte ich mich jetzt alles andere als wohl darin!
Es war ein altes, schon sehr aus der Form geratenes, riesengroßes T-Shirt, das um mich herumschlabberte und mir fast bis zu den Knien reichte. Seine ehemalige dunkelgrüne Farbe glich nach unzähligen Waschgängen eher der von zu lange gekochtem Rosenkohl. Dieser nicht zu überbietende Anblick wurde gekrönt durch einen bläulich schimmernden Flecken am Halsausschnitt, den ein Filzstift dort verewigt hatte.
Auch wenn die Versuchung, nach seiner immer noch ausgestreckten Hand zu greifen, riesengroß war, drehte ich mich abrupt um und flüchtete ins Badezimmer. Ich schloss erleichtert die Tür und schaute in den Spiegel.
Verdammt – war es denn nicht schon schlimm genug, dass meine Haare völlig zerzaust in alle Richtungen drängten, auf meiner linken Wange der kreisrunde Abdruck meiner Armbanduhr prangte, auf der ich gelegen hatte, nein - ich hatte mich gestern Nacht nicht abgeschminkt und jetzt verlieh die verschmierte Wimperntusche meinen Augen den Ausdruck einer Drogenabhängigen auf Entzug.
Ich stellte mich unter die Dusche, anschließend wickelt ich mich in das größte Handtuch, das vorhanden war, und ging auf dem Weg in mein Zimmer ganz schnell an der Küche vorbei. Nachdem ich angezogen war, holte ich tief Luft und machte mich zum zweiten Mal auf in die Küche.
Jamie saß inzwischen wieder neben seiner Schwester am Tisch. Diesmal ging ich auf ihn zu und gab ihm die Hand. Ich schaffte es sogar, sie wieder loszulassen!
Er schenkte mir ein umwerfendes Lächeln und sagte:
“Meinetwegen hättest du dich nicht extra umziehen müssen, ich fand dich ganz niedlich so!“ Niedlich? Ich wollte alles sein, aber nicht niedlich!
Verzweifelt suchte ich in meinen restlichen noch funktionierenden Gehirnwindungen nach einer passenden Antwort. Aber er stand schon auf und teilte Kate mit, er müsse los, weil er schon spät dran sei.